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Energetisches Heilen, Schamanismus, Psychotherapie
Von E. Bachmann, PD Dr. Jakob Bösch
• Schamanismus und Psychotherapie im Vergleich
• Literatur
Schamanismus und Psychotherapie im Vergleich
Das Angebot auf dem Gebiet der modernen Psychotherapie ist reich, und der Ausdruck
'Psychotherapie-Boom' erscheint nicht übertrieben. Therapieformen, die bei ihrem ersten Erscheinen
befremdend bzw. stark exotisch wirken, werden binnen relativ kurzer Zeit innerhalb der
nordamerikanischen oder westeuropäischen Kultur assimiliert und akzeptiert. Die vergleichende
Psychotherapieforschung befasst sich mittlerweilen auch mit einigen hundert Therapieformen, die
insbesondere in der zweiten Hälfte des 20. Jh. entwickelt wurden. Angesichts dieser unübersehbaren
Vielfalt der modernen Psychotherapie stellt sich die Frage, ob und inwieweit es Gemeinsamkeiten mit
traditionellen, nicht-westlichen oder früheren Therapieverfahren gibt. Es spricht vieles dafür, die
vergleichende Psychotherapieforschung auf sämtliche Kulturen zu erweitern. Dadurch könnten bestimmte
euro- oder ethnozentrische Annahmen, die womöglich als universelle oder selbstverständliche Ansichten
gelten, endlich klarer erkannt und thematisiert werden. Die verstärkte Beschäftigung mit
nicht-westlichen Therapieformen zeigt auch deutlich, wie vielfältig und komplex die Gemeinsamkeiten
und Trennlinien zwischen Wissenschaft, Religion, Kosmologie oder Medizin sein können.
Viele theoretische und methodische Erkenntnisse aus Kulturanthropologie, Ethnologie und benachbarten
Fachrichtungen müssen in der vergleichenden Psychotherapieforschung Eingang finden. Erst dann wird
man vielleicht erkennen, dass neue Errungenschaften der modernen Psychologie wie z.B. Körper-,
Regressions- oder Familientherapien längst in etlichen archaischen Kulturen angewandt wurden.
Magisch-religiöse Heiler, worunter sich Zauberer, Zauberpriester, Medizinmann, Schamane, Exorzist,
Kräuterdoktor, Magier, Medium u.ä.m. subsummieren lassen, wurden lange als pathologische
Persönlichkeiten dargestellt und die von ihnen praktizierten Verfahren als völlig unwissenschaftlich
und wirkungslos deklariert (VAN QUEKELBERGHE, 1992). Diese früheren Auffassungen etlicher
Anthropologen und Psychiater, die den Schamanen als Geisteskranken (WILKEN, 1887, 1971), als
Epileptiker (LOEB, 1924) oder den Schamanismus als 'arktische Hysterie' (OHLMARKS, 1939) bezeichneten,
sind nicht mehr haltbar. Mittlerweilen hat sich der Schamane als die bevorzugte Bezeichnung für
'magisch-religiöse Heiler' in der wissenschaftlichen Literatur etabliert. Der Schamane ist eine
völlig gesunde Person, die durch besondere Kräfte oder Bewusstseinszustände befähigt ist, mit
Geistern zu kommunizieren und sie zugunsten ihrer Stammesleute zu beeinflussen (WINKELMAN, 1986).
Ihre Ekstasetechniken (u.a. Seelenflug, Himmelsreisen) und die damit einhergehenden,
aussergewöhnlichen Bewusstseinszustände lernen sie vollkommen zu beherrschen und werden in der
Regel nach einer langjährigen Ausbildung von ihren Stammesmitgliedern als anerkannte und effektive
Therapeuten angesehen. Der Schamane hat eine breite Vielfalt an aussergewöhnlichen, abweichenden
Verhaltensweisen und Bewusstseinszuständen selbst erfahren und unter Anleitung geeigneter Lehrer
die feste Kontrolle über solche Erfahrungen erlernt, um so seine kurativen Aufgaben erfüllen zu
können. Bei den auszubildenden Schamanen legt man grossen Wert darauf, dass sie die Kräfte und
Zustände, die sie kontrollieren sollen, zunächst am eigenen Leib erfahren und dabei allmählich
lernen, sie unter Kontrolle zu bringen.
Der Schamane unterscheidet sich vom Yogi, indem der Yogi entweder nach grossen Zauberkräften (siddhi)
oder nach dem praktisch erlebten Überbewusstsein und der Vereinigung mit dem Göttlichen, der Erlösung
strebt, beides aber nur in seinem eigenen Interesse und nicht zugunsten einer Gesellschaft, wie dies
der Schamane tut.
Selbsterfahrung, Lehranalyse etc. sind heute integrierte Bestandteile der modernen Therapieausbildung
geworden und erinnern als solche an schamanistische Initiationsprozeduren.
Im Zusammenhang mit Heilritualen kommen in ca. 90% der untersuchten 488 Gesellschaftsformen veränderte
Bewusstseinszustände (ASC Altered States of Consciousness) vor. BOURGUIGNON & EVASCU (1977)
unterscheiden hinsichtlich der Ausprägungsart der ASC-Zustände vier Gesellschaftstypen:
Trance-Typus: Kommt in (sub-)arktischen Kulturen und vielen nord- und mesoamerikanischen
Indianerkulturen vor.
Besessenheitstrance-Typus: Zu diesem Typus gehören die meisten Besessenheitskulte aus
Zentral-Afrika und Südamerika.
Trance- und Besessenheitstrance-Mischtypus: Zu diesem Typus gehören viele
Heilungszeremonien aus dem circummediterranen Bereich.
Keine Trancephänomene: Bei ca. 10% der untersuchten Gesellschaften.
Die beiden Autoren weisen auch auf einen deutlichen Zusammenhang zwischen der sozioökonomischen
Entwicklung und dem Vorkommen dieser verschiedenen Trance-Typen hin.
Auch innerhalb der modernen Psychotherapie werden hinsichtlich ASC drei Gruppen unterschieden
(VAN QUEKELBERGHE, 1992):
- Keinerlei trance-induzierende Verfahren: Klassische Gesprächs-psychotherapie, Verhaltenstherapie.
- Zentrale und explizite Anwendung von trance-induzierenden Prozessen und Mitteln beim Klienten und/oder Therapeuten: Die
frühere LSD-Therapie, Bioenergetik, Rebirthing, Hypnose.
- Eingeschränkte und implizite Anwendung von trance-induzierenden Verfahren: Jung's analytische Psychotherapie, Leuner's
katathymes Bilderleben.
ASC- und Trance-Zustände innerhalb der modernen Psychotherapie sind nur im Rahmen der Ausbildung
zum Psychotherapeuten zu beobachten. Während der Psychotherapie-Sitzung übernimmt der Patient fast
völlig die Aufgabe, aussergewöhnliche Bewusstseinssektoren zu aktivieren.
Die Phasen der rituellen Besessenheit sind mit jenen der modernen Psychotherapie vergleichbar:
Besessenheitsanalyse vs. Symptomanalyse, Identifizierung der Geister vs. Ursachen, Ritualplanung vs.
Therapieplanung, Durchführung des Rituals vs. Therapie, Befreiung vom Geist vs. Ursachenbeseitigung
und Heilung. Der Autor macht aber auf die zahlreichen gescheiterten Reduktionsversuche des
Schamanismus oder der Besessenheitsrituale auf klassische psychiatrische Erkrankungen aufmerksam.
Die aus der modernen Psychologie stammenden Erklärungsansätze wie etwa aus der Psychoanalyse,
Verhaltenstherapie, transpersonalen Psychologie und Hypnoseforschung scheinen sich zumindest nach
relativ direkt beobachtbaren Phänomenen und Abläufen zu richten. Auch hier sind dennoch Gefahrenzonen
bei der Interpretation zu erkennen. Vielfach werden Prozesse und Phänomene aus schamanistischen
Trancen und Besessenheitsritualen mit der Terminologie aus der Hypnosetherapie beschrieben. Der Autor
betont, dass man bei der Beschreibung und Erklärung der beobachteten Phänomene behutsam mit der
Hypnose-Terminologie umgehen soll.
Generell verfügen die Schamanen- und Besessenheitsrituale über ein breites Repertoire an
therapeutischen Verfahren und Techniken, die im Prinzip vielfach deckungsgleich mit einzelnen
zentralen Elementen der modernen Psychotherapie zu sein scheinen (u.a. die Flooding- und
Reizüberflutungsmethode in der Verhaltenstherapie, verdrängte Affekte und Vorstellungen in der
klassischen Psychoanalyse etc.). Die intensive Erfahrung von z.T. jahrtausendalten Heilpraktiken
kann auf jeden Fall dazu dienen, über zentrale Dimensionen des therapeutischen Handelns vieles zu
erfahren sowie die Psychotherapie als ein sich ständig wandelndes und sich anpassendes Kultursystem
neu zu entdecken.
Erst seit kurzem beschäftigt man sich vermehrt mit dem Nutzen des veränderten Bewusstseinszustands
des Therapeuten, indem dieser sich stellvertretend für den Patienten den krankmachenden Kräften
aussetzt. Im Columbia-Presbyterian-Krankenhaus, zweitgösstes Krankenhaus der USA, operieren Ärzte mit
Energie-Heilern (KERNER & KERNER, 1998). 'Therapeutic-Touch'-Behandlung, eine auf fünf Schritte für
den Krankenhausbedarf standardisierte Form des Heilens durch Handauflegen, wurde in Amerika vor
dreissig Jahren durch Dolores Krieger, eine junge Krankenschwester, in Zusammenarbeit mit einer
Heilerin eingeführt. Die Behandlung beginnt damit, das die Krankenschwester/Heilerin eine Zeitlang
am Bett der Kranken sitzt, um sich zu konzentrieren, ihre Mitte zu finden bzw. sich zu zentrieren.
Nach einer 'energetischen Diagnose', bei der sie das Energiefeld der Patienten mit ihren Händen
abtastet, beginnt die eigentliche Energiebehandlung mit dem 'Glätten', dem Ausgleichen des
Energiefeldes der Patienten, wobei ihre Hände mit ruhigen Bewegungen wenige Zentimeter oberhalb
des Körpers sehr langsam vom Kopf bis zu den Füssen gleiten. Dabei verweilt sie manchmal an
verschiedenen Punkten, am Kopf, am Herzen, an den Füssen besonders lange und gibt heilende Energie
ab. Diese Methode gilt als gesellschaftlich anerkannt und kommt heute bei chronischen Rückenschmerzen,
Migräne, Stresserkrankungen und Angstanfällen genauso zum Einsatz wie bei der Tumorbekämpfung und in
der Altenpflege; immer als Ergänzung zur schulmedizinischen Therapie und unter ärztlicher Aufsicht.
Die Ergebnisse wissenschaftlicher Studien sind eindrucksvoll: In das Alternativprogramm eingebundene
Patienten hatten weniger Ängste und weniger postoperative Schmerzen als Patienten ohne diese
Ergänzungsmethode. Auch die Gesundung verlief schneller und reibungsloser.
Mit Therapeutic Touch wurde zum ersten Mal in der Geschichte der westlichen Industrieländer eine Form
des Heilens als Routinefach in die Lehrpläne von Krankenpflegeschulen und Universitäten aufgenommen.
Diese Methode wird heute in 68 Ländern der Welt unterrichtet, neben den USA und Kanada u.a. in
Frankreich, Finnland, Israel, China und der Ukraine. Das Heilen durch Handauflegen, worin der
Therapeutic Touch seinen Ursprung hat, ist seit Menschengedenken auf allen Kontinenten bekannt.
Literatur
BOURGUIGNON, E. & EVASCU, T.L. (1977)
Altered states of consciousness within a general evolutioning perspective.
A holocultural analysis. Behavior Science Research, 12, 197-216
KERNER, D. & KERNER, I. (1998)
Ärzte operieren mit Energie-Heilern. Esotera, 1, 16-23
LOEB, E.M. (1924)
The shaman of Niue. American Anthropologist, 26, 393-402
OHLMARKS, A. (1939)
Studien zum Problem des Schamanismus. Lund/Kopenhagen. Freiburg/München: Karl Alber.
VAN QUEKELBERGHE, R. (1992)
Schamanismus, Geisterbesessenheit und Psychotherapie im Vergleich. Ethnopsychologische Mitteilungen, 1(1), 28-49
WILKEN, G.A. (1971)
Het Shamanisme bij de Volken van den Indischen Archipel, 1887, o.O., zit. nach I.M. Lewin, Ecstatic Religion. Handmoudsworth: Penguin.
WINKELMAN, M. (1986)
Trance states: A theoretical model and cross-cultural analysis. Ethos, 14, 174-203.
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