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Eine neue Medizin mit einem neuen Paradigma
Der Arzt PD Dr. med. Jakob Bösch, Chefarzt Externe Psychiatrische Dienste Baselland, setzt sich für ein Umdenken in der
Schulmedizin ein. Doch was ist für dieses Umdenken notwendig? Das folgende Interview vermittelt die Grundlangen.
Von Dr. Donatus Rüetschi, Zeitschrift PARA, Nr. 25, November 1999
PARA : Was bedeutet ein Paradigma-Wechsel in der Wissenschaft?
Der amerikanische Wissenschafts-Historiker Thomas Kuhn (1) wurde in den 70er Jahren weltberühmt mit seiner Theorie vom sogenannten
Paradigma-Wechsel in der Wissenschaft.Als Paradigma bezeichnete er eine bestimmte Weise, die Welt, das Universum und insbesondere
den Menschen zu sehen und ein dieser Sichtweise entsprechendes Regelsystem, das festlegt, wie Wissenschaft betrieben werden
soll. Im Paradigma sind also grundlegende Annahmen enthalten, die letztlich nicht bewiesen werden können, sondern eher
Glaubenssätze oder wissenschaftliche Dogmen sind.
PARA : Wie kann es denn zu einem Paradigma-Wechsel kommen?
Bösch: Ein Paradigma-Wechsel, sagt Kuhn, gehe nicht durch einen kontinuierlichen Fortschritt in der Wissenschaft vor sich, sondern
durch Revolutionen. Diesen Revolutionen gehen Krisen voraus, in denen immer grössere Bereiche einer Wissenschaft in Frage
gestellt werden und immer drängendere Fragen in diesem Wissenschaftsgebiet nicht beantwortet werden können.
PARA : Und was hat das neue Paradigma in der Physik gebracht?
Bösch:
Die neuen, grundlegenden Annahmen der Quanten-Theorie hatten ein neues Paradigma gebracht, das für die sich anhäufenden offenen
Fragen im Paradigma der klassischen, Newtonschen Physik neue Lösungsmöglichkeiten brachte.
Nach Kuhn gefährdet jede anstehende wissenschaftliche Revolution das aktuell vorhandene und vertretene Wissen. Dadurch
gefährdet ein solcher Paradigma-Wechsel das Selbstverständnis und die Karrieren der aktuellen Wissenschafts-vertreter und
fordert sie zum Widerstand heraus.
PARA : Stehen wir vor einer tiefgreifenden Umwälzung in der Medizin?
Bösch:
Die bekannte amerikanische Psycho-Physiologin und Gesundheitstheoretikerin Jeanne Achterberg (3) glaubt, dass wir vor
einer tiefgreifenden Umwälzung in der Medizin stehen. Wir befänden uns in der kurzen Pause, in der wir das Blitzen bei
einem Gewitter schon wahrgenommen hätten und mit dem etwas später eintreffenden Donner unmittelbar rechnen müssten.
PARA :
Woran soll den der Paradigma-Wechsel erkennbar sein?
Bösch:
Der Paradigma-Wechsel, die wisschenschaftliche Revolution, habe in der Medizin noch nicht stattgefunden, aber die
obligatorisch vorangehende Krise sei voll ausgebildet.
Die Kriegszüge gegen Krankheit hätten nicht zu einer umfassenden Gesundheit geführt, noch hätten sie viel Erleichterung
bei den schweren Krankheiten unserer industrialisierten Welt gebracht. Und sie hätten gewiss das unablässige Leiden der
Dritten Welt nicht aufgehoben. Die Krise, die einen Paradigma-Wechsel hervorrufen werde, beziehe sich auf die Medizin
als Wissenschaft, aber auch auf die Gesundheitspolitik. Die finanziellen Erfordernisse hätten die Gesundheits-konsumenten,
die Versorger und Versicherer aus jeder Selbstzufriedenheit wachgerüttelt und die Hoffnung vernichtet, dass die moderne
Gesundheitsversorgung jedes Bedürfnis abdecke und ein prosperierendes Leben ermögliche.
Es gehe um eine Krise in der Technologie, der es misslungen sei, die Probleme der zivilisierten Welt zu beheben.
In fundamentaler Weise sei es eine Krise der menschlichen Werte, wie wir uns selber sowie alle lebenden und nicht-organischen
Dinge in unserer Welt sähen und wie wir füreinander sorgen würden.
PARA :
Und wie werden die Veränderungen zu Stande kommen?
Bösch:
Jeanne Achterberg deutliche Anzeichen auszumachen, dass grössere Veränderungen nicht aus den Hauptströmungen der
wissenschaftlichen Medizin kommen, sondern aus einer interdisziplinären Union ähnlich denkender Seelen, die in ihrem
eigenen Wissenschafts-Gebiet als Aufsässige und Querdenker auffallen würden. Es sei eine Gemeinschaft, die sich stark
mit den Inhalten der komplementären und alternativen Medizin identifiziere.
Wissenschaftler, Praktiker und Administratoren würden durch ein schnell wachsendes Konsumenten-Netzwerk unterstützt, und
gemeinsam würde mit entschlossenen Schritten die Schwelle des bisher gültigen wissenschaftlichen Denkens überschritten. Das
führe zu einem Zustand unausweichlicher kreativer Spannungen. Die Kritiken von Vertretern der klassischen Medizin würden
leidenschaftlicher, und die Taktiken, um die neuen Strömungen zu diskreditieren, würden verzweifelter und irrationaler.
PARA :
Das heisst also: Newtonsche Physik gegen Quanten-Theorie?
Bösch:
Tatsächlich lässt sich heute in der Medizin das Aufeinanderprallen von zwei verschiedenen Paradigmen überall beobachten.
Beide Seiten nehmen für sich in Anspruch, wissenschaftlich zu denken und zu handeln. Entsprechend wird die Gegenseite der
Irrationalität, der Unwissenschaftlichkeit und des magischen Denkens bzw. des ideologischen Festhaltens an überholten Ansichten
und damit ebenfalls der Irrationalität bezichtigt.
Im Kern dreht sich der Streit um die Frage, ob der Mensch in Gesundheit und Krankheit adäquater mit dem Denksystem
der Newtonschen Physik oder dem der Quantentheorie erfasst werden kann. Die heutige klassische Medizin und insbesondere
die Medizin-Technik arbeiten zum grössten Teil mit den Annahmen der Newtonschen Physik. Nach dem bekannten Quantenphysiker
David Bohm(4) scheint unter Physikern weitgehend Einigkeit zu bestehen, dass die Newtonsche Physik zwar ein Spezialfall der
allgemeiner gültigen Quantenphysik darstellt, dass sich im Alltag und in der Anwendung der Technik aber meist ohne grössere Fehler
damit arbeiten lässt. Viele Vertreter der klassischen Medizin halten die Theorien der Newtonschen Physik für die Wirklichkeit
schlechthin.
Auf der anderen Seite wird von Vertretern der Komplementär-Medizin behauptet, der Mensch lasse sich nur adäquat
verstehen und behandeln mit einem Denksystem, das sich an die Quanten-Theorie anlehne.
PARA :
Welche Sichtweise ermöglicht denn die Quanten-Theorie?
Bösch:
Nach David Bohm ermöglicht die Anwendung der kausalen Interpretation der Quanten-Mechanik eine neue Sichtweise auf die
Beziehung zwischen Geist und Materie. Dadurch könne sich eine neue Denkstruktur entwickeln, die Geist und Materie nicht
egeneinander abgrenze. Sie ermögliche eine zusammenhängende Theorie zum Verständnis der Erscheinungsformen geistiger wie
materieller Art. Er schreibt (5): "Im Vordergrund stehen dabei allgemeine Grundzüge eines neuen Denkens, das im Einklang mit
der modernen Physik steht, die die Abgrenzung von Geist und Materie, Beobachter und Beobachtetem, Subjekt und Objekt nicht
mehr vollzieht".
PARA :
Das würde heissen, dass physikalische Teilchen geistähnliche Eigenschaften aufweisen?
Bösch:
Ja. Nach Bohm ergeben sich durch die moderne Quanten-Theorie für die physikalischen Teilchen gewisse geistähnliche
Eigenschaften, die durch die Newtonschen Konzepte nicht mehr erfasst werden. Dies beinhaltet, dass sich selbst unbeseelte
Materie nicht vollständig mit der Bemerkung von Descartes fassen lässt, es handle sich dabei um nichts weiter als um eine
Substanz, die Raum ausfülle und aus räumlich voneinander getrennten Objekten bestehe.
Die Quanten-Theorie geht nach Bohm erstens von der bekannten Welle-Teilchen-Dualität als Eigenschaft jeden materiellen
Systems aus. Diese duale oder zweifache Natur von materiellen Systemen steht völlig im Widerspruch zur Newton'schen Physik,
in der jedes System seine eigene Natur besitzt, die nicht von seinem Kontext abhängt. Zweitens geschieht alles in Form
definierter, messbarer Energien, den Quanten, die sich nicht weiter teilen lassen. Wenn eine Wechselwirkung zwischen Teilchen
auftritt, scheint es, als wären sie alle durch untrennbare Verbindungen miteinander zu einem einzigen Ganzen verknüpft.
Drittens haben diese Welle-Teilchen die fremdartige Eigenschaft der sogenannten Nicht-Lokalität. Das heisst, unter bestimmten
Bedingungen scheinen Teilchen, die einen makroskopischen Abstand voneinander haben, sich gegenseitig in gewisser Weise
beeinflussen zu können, obgleich es keine bekannte Verbindung zwischen ihnen gibt.
Solche Wechselwirkungen ohne direkten räumlichen Kontakt oder durch lokale Felder sind der Newtonschen Mechanik völlig
fremd. Sie lassen sich durch den Begriff des Quanten-Kontinuums umschreiben, der verdeutlicht, dass sich die Welt in Form
voneinander unabhängiger und raum-zeitlich getrennter Teile nicht oder nur ungenau analysieren lässt. Im einzelnen bedeutet
dieses Kontinuum, dass für eine Beobachtung mit quantentheoretischer Genauigkeit keine Trennung zwischen beobachtendem Apparat
und beobachtetem System mehr vorgenommen werden kann.
Der in der Quantenphysik ebenfalls gängige Begriff des Quantenfeldes beinhaltet die ähnliche Aussage, dass eine weit
entfernte Wirkungsquelle einen starken Einfluss auf "Materie"-Teilchen haben kann.
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