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Waren die biblischen Propheten schizophren?

Von PD Dr. Jakob Bösch, www.jakobboesch.ch

• Zur Unterscheidung von Sensitivität und Psychose
• Grosse Herausforderung der Medizin
• Immer mehr sensitive Menschen
• Aufschlussreiche wissenschaftliche Arbeiten
• «Stimmenhören akzeptieren»
• Kommunikation mit anderen Bewusstseinsebenen
• Was Kinder erleben
• Öffnung für diese Phänomene nötig

Zur Unterscheidung von Sensitivität und Psychose                nach oben

Die amerikanische Psychiaterin Judith Orloff, heute Professorin an der Universität von Kalifornien in Los Angeles, war schon als Kind hellfühlend und hellsichtig. Oft nahm sie unwillkürlich Schmerzen und Krankheiten von Besuchern unmittelbar wahr, ohne dass sie diese Menschen näher kannte. Ihre Eltern, beide Ärzte, hatten kein Verständnis für diese seltsame Veranlagung, die nicht in ein mechanistisch, naturwissenschaftliches Weltbild passte. Judith versuchte deshalb, diese Fähigkeiten zu unterdrücken, entwickelte dadurch mehr und mehr psychische Störungen und Verhaltensauffälligkeiten. Schliesslich kam sie zu einem Psychotherapeuten, der für ihre Sensitivität - ein Sammelbegriff für Begabungen wie Intuition, Hellfühligkeit, Hellsichtigkeit, Hellhörigkeit usw. - ein gewisses Verständnis aufbrachte. Im späteren Medizinstudium lernte sie erneut, ihre Begabung als abnormal, wenn nicht gar krankhaft, zu sehen und zu unterdrücken. Erst in ihrem Berufsleben fand sie, gezwungen durch bittere Erfahrungen, den Mut, allmählich wieder zu ihrer sensitiven Veranlagung zu stehen. Seit sie in ihrem Buch mit dem deutschen Titel «Jenseits der Angst» (Heyne-Verlag, München, 1997) ausführlich ihre Erfahrungen mit Hellfühligkeit und Hellsichtigkeit beschrieben hat, reist sie als Referentin von Fachkongress zu Fachkongress, um ihren Kolleginnen und Kollegen innerhalb und ausserhalb der Psychiatrie Grundlagen über Sensitivität zu vermitteln.

Grosse Herausforderung der Medizin                nach oben

In der Medizin - und insbesondere in der Psychiatrie - sehen wir uns einer grossen Herausforderung gegenüber. Sinneswahrnehmungen ohne äussere Reize sind als Halluzinationen definiert und gelten als krankhaft. Sie werden insbesondere mit der Schizophrenie in Zusammenhang gebracht. In der Hochblüte des mechanistisch-materialistischen Weltverständnisses wurden alle Menschen, die Stimmen hörten oder geistige Wesen sehen konnten, mit dieser gefürchteten Krankheit in Zusammenhang gebracht. Noch in den sechziger Jahren wurden in Fachbüchern Menschen wie Jesus Christus, mittelalterliche Heilige oder moderne Mystiker, wie z.B. Rudolf Steiner, als schizophren beschrieben. Nach diesem Verständnis wären die alttestamentlichen Propheten wie auch Maria, der von einem Engel die Geburt des Gottessohnes verkündet wurde, und ebenfalls die Apostel Petrus und Paulus, Schizophrene gewesen. Bei den Hirten auf dem Felde allerdings müsste es sich um eine Art kollektive Psychose gehandelt haben, da ja eine ganze Gruppe diese äusserlich nicht sichtbaren Wesen sah und hörte.

Immer mehr sensitive Menschen                nach oben

Zum Glück ändert sich langsam die Auffassung auch innerhalb der Psychiatrie, und Sensitivität wird nicht mehr durchwegs als krankhaft angesehen. Die Erweiterung des Verständnisses ist umso wichtiger, da in der heutigen Zeit des spirituellen Aufbruchs immer mehr Menschen ihre sensitive Veranlagung entdecken bzw. oft ganz unsanft damit konfrontiert werden. Viele Menschen sind keineswegs erfreut, wenn sie ihre sensitiven Fähigkeiten zur Kenntnis nehmen müssen. Manche glauben zunächst selber, sie seien verrückt oder sie befürchten, die Umgebung könnte sie als verrückt, bezeichnen. Andere Menschen haben ganz einfach Angst, mit Phänomenen Bekanntschaft machen zu müssen, die nicht in unsere einigermassen vertraute Alltagswelt passen. Das scheint schon immer so gewesen zu sein. Sowohl im Alten wie im Neuen Testament wird mehrfach beschrieben, wie die Menschen bei solchen Erfahrungen zunächst erschrocken sind und von den von ihnen wahrgenommenen geistigen Wesenheiten beruhigt werden mussten. Sowohl bei Maria wie bei den Hirten kam von den erscheinenden Wesen die Aufforderung: «Fürchtet Euch nicht.» Diese Aufforderung wird von den Betroffenen nicht immer wahrgenommen oder verstanden. Sensitivität bricht nicht selten in Krisensituationen erstmals richtig durch und kann manche Fachleute dazu verführen, die Diagnose einer Geisteskrankheit zu stellen, auch wenn es sich um die ersten Erscheinungen aussersinnlicher Wahrnehmungsfähigkeit handelt. Diese Diagnose kann zusätzliche Angst und Verzweiflung hervorrufen und einen Teufelskreis in Bewegung setzen. Tatsächlich ist die Abgrenzung zwischen sensitiver Veranlagung und Psychose in manchen Fällen schwierig. In der Psychiatrie fehlen bisher klare Kriterien für diese Unterscheidung. Da viele betroffene Menschen ihre sensitiven Erfahrungen - selbst wenn sie in Psychotherapie sind - verschweigen, ist das Ausmass dieser Erfahrungen in unserem Fachgebiet bisher kaum erkannt worden. Inzwischen hat sich eine umfangreiche Selbsthilfeszene entwickelt, in der Betroffene Beratung und Führung unterschiedlichsten Inhaltes und unterschiedlichster Qualität erfahren. Gerade junge und jugendliche Sensitive scheinen sich stark in dieser Selbsthilfeszene Rat zu holen. Sie können, wenn sie Glück haben, in höchst kompetenter Weise geführt und beraten werden; wenn sie Pech haben, werden sie in die Irre geführt, vielleicht sogar in psychischen Störungen verstärkt. Viele Sensitive berichten, dass sie Psychopharmaka schlecht ertragen. Judith Orloff schreibt in ihrem Buch, dass Menschen mit der Überzeugung zu ihr gekommen seien, sie seien begabte Sensitive, sie als Psychiaterin habe aber nichts anderes als eine Geisteskrankheit feststellen können.

Aufschlussreiche wissenschaftliche Arbeiten                nach oben

Aufschlussreich sind neuere wissenschaftliche Arbeiten, z.B. zum Stimmenhören. Nach Marius Romme, Ordinarius für soziale Psychiatrie in Maastricht, findet sich das Phänomen des Stimmenhörens bei zehn bis 15 Prozent der Bevölkerung, und zwar bei Menschen ohne psychische Störungen wie auch bei Gruppen mit den Diagnosen Angst-Störung, Depression, Schizophrenie usw. Nach verschiedenen Untersuchungen liegt der Anteil von Menschen ohne psychiatrische Diagnose bei einem bis zwei Drittel aller stimmenhörenden Menschen. Bei den Stimmenhörenden ohne psychiatrische Diagnose sind die Stimmen in den allermeisten Fällen unterstützend, beruhigend, tröstend usw., während sie bei den Menschen mit psychiatrischer Diagnose in der Mehrheit negativ kommentierend, beschimpfend, quälend sind und auch schlecht oder gar nicht kontrolliert werden können. Ausserdem finden sich bei den stimmenhörenden Nicht-Patienten signifikant mehr Personen, die schon vor dem Alter von 12 Jahren über Stimmenhören berichten.

«Stimmenhören akzeptieren»                nach oben

Der Engländer Phil Thomas, Ordinarius für Psychiatrie an der Universität Wales und Chefarzt der dortigen psychiatrischen Klinik, hat mit dem von Stimmenhören betroffenen Ron Colemann eine enge Zusammenarbeit begonnen. Colemann hat seine eigene Organisation für Stimmenhörende gegründet, nachdem er vorher Jahrzehnte seines Lebens als Schizophrener in der psychiatrischen Klinik verbracht hatte. Insbesondere zusammen mit Phil Thomas geht er auf Vortragsreisen und an Fortbildungsveranstaltungen für psychiatrisch Tätige. Schon 1987 wurde in Manchester das «Hearing, Voices Network», ein Netzwerk zum Austausch von Erfahrungen und Informationen zum Thema Stimmenhören, gegründet. Etwa zur selben Zeit hat Romme zusammen mit der Wirtschaftsjournalistin Sandra Escher in den Niederlanden die Stiftung «Werklang» (= Widerhall) gegründet. Nachdem Romme mit einer stimmenhörenden Frau im nieder- ländischen Fernsehen aufgetreten war, löste dies eine Lawine von Zuschriften Betroffener aus und führte zur Gründung dieser Selbsthilfeorganisation. Romme wurde in den Niederlanden zum Hoffnungsträger für viele stimmenhörende Menschen, indem er die Meinung vertritt, der Umgang mit den Stimmen erlerne sich leichter, wenn das Phänomen in ein anerkanntes soziales oder spirituelles Glaubenssystem eingebettet ist.
Mit der Vorstellung, von Geistern und Schutzengeln begleitet zu sein, würden Betroffene besser leben als mit der Diagnose, aufgrund einer psychischen Krankheit unter Halluzinationen zu leiden. Unterstützung erhält er dabei von ganz anderer Seite. Der Biologe und Entwicklungsforscher Rupert Sheldrake weist in seinem Buch «Engel, die kosmische Intelligenz» (Kösel-Verlag, München, 1998) darauf hin, dass alle uns bekannten Kulturen und Religionen die Existenz von Geistwesen, mit denen kommuniziert werden kann, angenommen haben. Nach einem solchen Verständnis wäre für eine psychische Krankheit kennzeichnend nicht das Hören von Stimmen, sondern die Unmöglichkeit, sich mit ihnen zu arrangieren. Romme und Sandra Escher haben das Buch «Stimmenhören akzeptieren» (Psychiatrie-Verlag, Bonn 1997) geschrieben, das für Fachleute, Betroffene und Angehörige gleichermassen wertvoll ist. Wichtige Informationen finden sich auch in dem Buch «Stimmenhören» von Thomas Bock und Irene Stratenwerth (Kabel-Verlag, Hamburg, 1998).

Kommunikation mit anderen Bewusstseinsebenen                nach oben

Sensitivität bedeutet ganz allgemein in Kommunikation stehen mit anderen Bewusstseinsebenen. Diese kommunikativen Verbindungen bestehen mit Sicherheit zu verschiedenen Ebenen. Im besten Falle erhalten Sensitive Informationen aus Ebenen oder von Wesen, die hilfreich und lichtvoll sind, mehr Überblick und Einblick haben als wir selber und uns liebevoll unterstützen möchten. Es scheint aber ebenso Verbindungen zu geben zu Intelligenzen oder Wesen mit gegenteiligen Eigenschaften und gegenteiliger Absicht. Sensitivität kann also zunächst weder als segensreich noch als krankhaft eingestuft werden. Ein sensitiver Mensch ist vergleichbar mit einem Radioempfänger. Er kann «im Raum» vorhandene Informationen aufnehmen und allenfalls weitergeben. Es ist aber entscheidend, auf welchen «Sender» bzw. welche «Frequenz» er sich einstellt, und je nachdem können die wahrgenommenen Inhalte sehr verschieden sein. In den Niederlanden sind auch Geistheiler sehr ernsthaft an den Diskussionen über das Phänomen Stimmenhören beteiligt. Verschiedene Betroffene berichten, sie hätten hauptsächlich von dieser Seite Hilfe erfahren.

Was Kinder erleben                nach oben

Der Holländer Romme interessiert sich besonders für stimmenhörende Kinder. 80 stimmenhörende Kinder werden seit 1996 während vier Jahren in ihrer Entwicklung begleitet. Ein Teil dieser Kinder sieht farbige Auren bei anderen Menschen und kann bei den gehörten Stimmen gleichzeitig «geistige» Wesen sehen. Eindrücklich sind die von ihnen berichteten Erfahrungen, dass bei Angst andere Stimmen zu vernehmen sind als bei Ausgeglichenheit und Sicherheit. Manche Kinder bekamen erst dann Angst, wenn sie das Erschrecken der Erwachsenen über ihre Erscheinungen erlebten. Gewisse Eltern erfuhren erst von der sensitiven Veranlagung ihrer Kinder anlässlich einer Fernsehsendung, indem die Kinder das Gezeigte kommentierten: «Das höre und sehe ich auch.»

Öffnung für diese Phänomene nötig                nach oben

Es ist zu hoffen, dass sich nicht nur Psychiater und Psychotherapeuten vermehrt für die Phänomene öffnen, sondern dass auch die Selbsthilfebewegung sich in dieser Hinsicht bald weiterentwickelt.

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