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Spiritualität und spirituelles Heilen
Von J. Boesch, http://www.jakobboesch.ch
„Du bist nicht für mein Glück verantwortlich; ich bin nicht für dein Glück
verantwortlich.“ Solche und ähnliche Sätze wurden schon vor 40 Jahren von Fritz
Perls, dem Gründer der Gestalttherapie geprägt. Eine ähnliche Haltung ist in der
später entwickelten lösungsorientierten Therapie deutlich erkennbar. Das Hinführen
zu mehr Selbstverantwortung ist jedoch ein Element fast jeder modernen
Psychotherapie. Eine noch radikalere Forderung, dass wir Menschen nicht andere
Menschen oder die Umstände für unser Wohlergehen verantwortlich machen sollen,
erkennt man ausserdem in den meisten spirituellen Strömungen. Du bist nicht für
mein Glück verantwortlich, kann ein Mensch sagen, wenn er das ungeheure Potential
in seinem Innern erkannt hat, dass die Quelle seines ganzen Glücks und seiner
Lebensfreude werden kann. Spiritualität bedeutet, mit sich selbst und mit Gott in
Kontakt zu sein, das heisst mit der Quelle von Lebensfreude, Liebe Vergebung; es
bedeutet, die Quelle von Hoffnung und Vertrauen zu spüren und zu kennen.
Spiritualität bedeutet, dass der Mensch erkennt, dass er über die Einengungen und
Leiden seines materiellen Daseins hinaus ein geistiges Wesen ist, das die in ihm
angelegte geistige Freiheit verwirklichen soll.
Im Menschen verbinden sich Himmel und Erde. Dies kommt besonders schön in dem
Satz zum Ausdruck: „Das Himmelreich ist inwendig in Euch“, mit dem Jesus im
neuen Testament zitiert wird. Der Mensch ist Träger des Reiches Gottes in sich. Das
Reich Gottes bedeutet die Möglichkeit zur Freiheit und nur Freiheit kann die
Verwirklichung von Freude, Versöhnung, Liebe, Kraft und Hoffnung mit sich bringen.
Wer das Reich Gottes in sich und damit Gott wirklich spürt, der wird auch spüren,
dass Menschen aller Religionen und Konfessionen diesen Gott spüren können für
jeden Menschen anders und doch immer der gleiche Gott. Darum ist Spiritualität
nicht zu trennen von Toleranz, Achtung und Respekt jedem menschlichen Wesen
gegenüber, unabhängig von seinem Glauben und seiner ethnischen Zugehörigkeit.
Spiritualität bedeutet Geistigkeit. Der spirituelle Mensch ist sich seiner geistigen
Herkunft bewusst und erkennt, dass das Geistige in seinem Innern, das heisst die
göttlichen Gedanken, eine ständig wirkende Kraft von prinzipiell unbegrenztem
Potential ist. Wiederholt hat Jesus den von ihm Geheilten gesagt: „Dein Glaube hat
dir geholfen“. Glauben kann in diesem Zusammenhang als Überzeugung verstanden
werden, dass den geistig – göttlichen Kräften alles möglich ist und dass diese Kräfte
so stark sind, dass sie materielle Gegebenheiten wie körperliche Behinderungen und
Krankheit in glücklichen Fällen verändern und heilen können. Wer in seiner
spirituellen Entwicklung so weit ist, dass er solche Heilungsphänomene erkennen
und anerkennen kann, wird sich bewusst werden, dass diese geistigen Kräfte durch
uns Menschen wirken. Die meisten besonders heilbegabten Personen sagen, nicht
sie selber würden heilen, sie wären nur Kanal für die Kraft Gottes. Trotzdem steht
immer ein Wille und eine Entscheidung eines Menschen, sich einem andern für eine
Heilung zur Verfügung zu stellen, am Anfang eines solchen geheimnisvollen
Geschehens.
Spiritualität bedeutet ständiges Bemühen, über die alltäglichen Sorgen hinaus zu
wachsen, sich des Himmelreiches in sich gewahr zu werden, Ängste, Schuldgefühle
und Verletzungen loszulassen, sich mit sich selber und anderen zu versöhnen, ganz
zu seinem eigenen Leben ja zu sagen mit allen Schmerzen und allen Prüfungen, die
darin enthalten sind. Das Allerbitterste wird zum Allersüssesten, wenn es vom
Menschen in Hingabe angenommen wird.
Die zentrale Botschaft fast aller Religionen ist die Liebe. Diese Botschaft wird oft als
moralisches Gebot als Pflicht missverstanden. Eine Pflicht zur Liebe kann es aber
nicht geben. Die Liebe erwächst aus der Freiheit. In tragischer Unwissenheit
verkünden Menschen, wer Gottes Gebot der Liebe nicht erfülle, komme in die Hölle.
Angst vor der Hölle kann aber nie die Basis von Freiheit werden und damit auch nie
die Basis von Liebe. Spiritualität heisst deshalb Befreiung von der Angst, Befreiung
vom Zwang und Befreiung von jeglichem Dogma. Liebe ist in sich selbst schon die
Belohnung, das Himmelreich inwendig in uns. Ohne diese Liebe sind wir bereits in
der Dunkelheit oder, wenn man so will, in der Hölle, weil wir Gott, die göttliche Liebe,
d.h. das Himmelreich nicht in unserem Herzen spüren können. Diese Dunkelheit,
dieser Liebesmangel ist Ursprung und auch Endpunkt vieler Erkrankungen. Die
Krankheit lässt uns Heilung suchen und in manchen Fällen gelingt zunächst die
Beseitigung der Krankheit auf der körperlichen Ebene. Zum Teil geschieht in diesem
Prozess auch die Gesundung der Seele und vielleicht sogar des Geistes. Wenn
nicht, wird früher oder später ein neues seelisches oder körperliches Leiden unsere
Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Wenn wir Glück oder –aus einer tieferen
Perspektive betrachtet – Pech haben, gelingt es uns, die Wahrnehmung dieses
Leidens über längere Zeit von unserem Bewusstsein fern zu halten durch vermehrte
Konzentration auf alltägliche Dinge wie Arbeit, Beziehung, Erziehung, Geld, Politik
usw., mit denen wir dann nicht frei und loslassend umgehen sondern sie zum Anlass
für Sorgen, Ängste, Aggressivität und Schuldgefühle machen. Auf diese Weise
können wir das Leiden am Liebesmangel in uns immer wieder zur Seite schieben, bis
das Leben in seiner unendlichen Geduld uns mit einem Schicksalsschlag wieder
wachzurütteln versucht.
Spirituelle Heilung bedeutet deshalb Näherkommen oder Berührtwerden von
göttlicher Liebe. Das Reich Gottes in uns und die göttliche Christusliebe in und um
uns wird für uns wieder fühlbar, wenn wir unser Herz öffnen. Diese Öffnung des
Herzens kann in der Familie, in einer Liebesbeziehung, in einer Psychotherapie, im
Gebet oder in der Meditation oder in irgend einer menschlichen und
übermenschlichen Begegnung geschehen.
Spirituelles Heilen und Schulmedizin
Spirituelles Heilen entspringt einem spirituellem Welt- und Menschenverständnis.
• Heilen geschieht mit Herz und Verstand, mit Glauben und Wissen
• Spirituelles Heilen und spirituell geheilte Menschen verbinden Himmel
und Erde
• Der Mensch ist in seinem Ursprung geistig-göttlich. Dieser geistig-göttliche
Ursprung erkrankt nicht
• Die Trennung vom Göttlichen lässt den Menschen mental, seelisch oder
körperlich erkranken
• Eigentliches Ziel aller Heilung ist die Wiederherstellung der Verbindung
zum Göttlichen, das ist Spiritualität
• Moderne Schulmedizin und spirituelles Heilen ergänzen sich.
Spirituelles Heilen und Schulmedizin können sehr gut kombiniert werden. In der
alltäglichen Anwendung ergänzen sie sich oft in idealer Weise. Was einfach und billig
durch schulmedizinische Verfahren behandelt werden kann, soll mit diesen, in
unserer westlichen Welt überall zur Verfügung stehenden Methoden, behandelt
werden. Weltweit gesehen haben allerdings nur etwa 10 – 15 von 100 Menschen den
Zugang zu modernen bio-medizinischen Diagnose- und Therapieverfahren. Der weit
aus grössere Teil ist auf traditionelle Heilverfahren angewiesen wozu auch das
spirituelle Heilen gehört. Allerdings sind die traditionellen oft Jahrtausende alten
geistigen Heilweisen durch religiöse und ideologische Bewegungen oft vernichtet
oder in den Untergrund getrieben worden.
Medizinische Behandlung und spirituelles Heilen können wie gesagt im Alltag oft
ideal kombiniert werden. Das könnte leicht über die fundamentalen Unterschiede
bezüglich Menschenbild und bezüglich Auffassung von Gesundheit und Krankheit
hinweg täuschen. Wir sind uns gewohnt, vom Siegeszug der modernen Medizin und
von ihren überwältigenden Erfolgen zu sprechen. Von einem Siegeszug und von
überwältigenden Folgen können wir allerdings nur sprechen, wenn wir ein
atheistisch-materialistisches Weltbild der Bewertung zu Grunde legen, und wenn wir
die Medizin auf sich selber reduzieren und die globale ökologische und
gesellschaftliche Entwicklung ausser acht lassen.
Ein spiritueller erwachter Mensch weiss um die Einheit aller Dinge, spürt die
Verbundenheit aller Wesen und kann deshalb seine Gesundheit immer weniger von
der Gesundheit aller andern Menschen, der Gesundheit der Tiere, der Pflanzen und
der Erde getrennt sehen. In der alltäglichen Anwendung geht es um Heilung von
Menschen nicht um Bekämpfung oder gar Ausrottung von Krankheiten. In dieser
Weltsicht sind Krankheiten die Verbündeten der Menschen. Vielleicht von Gott
geschickt, nicht aber als Strafe sondern als Hilfe zur geistigen Genesung. Der
göttliche Geist wird nie aufhören, den Menschen zu seinem göttlichen Ursprung
zurückzuführen. Deshalb wird die Bekämpfung und der Ausrottungsversuch von
Krankheiten letztlich Leiden und Krankheit vermehren. Eine Entwicklung die bei uns
in vollem Gange ist. Noch nie hat die Welt so viele Kranke und Leidende gesehen,
noch nie ist das Gesundheitswesen so teuer gewesen, noch nie zuvor hatten wir eine
Medizintechnik die dermassen aufwendig ist, dass deren globale Anwendung die
Ressourcen der Erde übersteigen würde. Unser Gesundheitswesen wird deshalb erst
dann genesen, wenn uns der fundamentale Unterschied zwischen Bekämpfung und
Ausrottung von Krankheiten und der Heilung der Menschen klar wird. So lange wir
diesen Unterschied nicht erkennen, werden alle ökonomischen und
qualitätssichernden Massnahmen sogar in den reichen Ländern der ersten Welt
scheitern, vom Elend der zweiten und dritten Welt ganz abgesehen.
Wenn wir also der Krankheit, unserer gütigen und geduldigsten Lehrmeisterin den
Krieg erklären, ist sie gezwungen, sich zu behaupten, solange sie uns nicht helfen
konnte, im Heiligtum unseres Herzens Gott wahrzunehmen. Immer klarer realisieren
wir, dass der Sieg der Medizin über die Krankheiten im 20. Jahrhundert ein Pyrussieg
war, der uns ausbluten lässt, während wir das gewonnen geglaubte Terrain Stück um
Stück wieder frei geben müssen. Trotzdem ist die Erfahrung wertvoll. Wäre nicht das
unermessliche Leiden, das wir der Erde, der Natur vielen Mitmenschen und den
Tieren, insbesondere auch den Versuchstieren, angetan haben, könnten wir uns
vorbehaltlos über die gewonnen Erfahrungen im materialistischen Umgang mit der
Krankheit freuen. Dank der Entwicklung der naturwissenschaftlich – technischen
Medizin erkennen heute immer mehr Menschen die Begrenztheit dieses Ansatzes
auch für ihr eigenes Leben. Sie können die Erfahrung der Gottferne machen, wenn
der Körper geheilt, Seele und Geist aber vergessen wurden. Deshalb die
explosionsartige Zunahme seelischer Leiden in unserer Zeit. Deshalb die ebenso
explosionsartige Zunahme von CAM-Angeboten (=Complementär- und Alternativ-medizin).
In den USA hat die Anzahl von CAM-Gesundheitskonsultationen schon
1990 die Anzahl aller Hausarztkonsultationen überflügelt. Bis 1997 sind die CAM-Konsultationen
auf das 1½ -Fache angestiegen, während dem die Zahl der
schulmedizinischen Hausarztkonsultationen sogar leicht rückläufig war.
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