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Wundertaten
Von Walter Hauser erschienen im FACTS, Ausgabe 44, 1999
Im Kantonsspital Glarus arbeitet eine Heilpraktikerin. Das sorgt für Aufregung.
Im ersten Stock des Kantonsspitals, direkt neben dem Büro des Chefarztes,
geht es zur Sache. Alena Jöstl drückt ihre Hände wie bei einer Akupressur
mit ganzer Kraft auf die schmerzenden Körperstellen, bis die Patienten auf
die Zähne beissen müssen. Die Tortur sei nötig, sagt Jöstl, um die heilenden
Energieströme im Körper wieder zum Fliessen zu bringen.
Die Frau ist nicht nur bekannt für ihre magischen Heilkräfte. Ihre feuerroten
Haare haben ihr den Übernamen «Rote Zora» beschert. Gegenüber anderen
Heilpraktikerinnen hat sie einen entscheidenden Vorteil: die staatliche
Legitimation. Die Rote Zora ist als Teilzeitangestellte am Kantonsspital
Glarus tätig. Ihre Förderer sind Spitaldirektor Hanspeter Stähli, ein gelernter
Physiker, und der Chefarzt, Professor Kaspar Rhyner.
Seit Beginn des Versuchs vor anderthalb Jahren hat die Frau am
Kantonsspital Glarus rund 150 meist Chronischkranke behandelt - mit
überraschendem Ergebnis, sagt Rhyner. Aus schulmedizinischer Sicht handle
es sich zum Teil um «aussergewöhnliche, nicht erklärbare Heilungserfolge.»
Neuestes Beispiel: Die Heilpraktikerin soll einen Patienten von seiner über
einjährigen Stimmbandlähmung geheilt haben. «Der Mann kann wieder
normal sprechen», staunt Rhyner.
In der Schweiz stellen immer mehr Ärzte die strengen Grundsätze der
Schulmedizin in Frage und wenden alternative Behandlungsmethoden an. Sie
sind selbst für die Verbindung der Schweizer Ärzte (FMH) kein Tabu mehr.
Laut FMH-Vorstandsmitglied Max Giger kommen grundsätzlich alle
Behandlungsmethoden in Frage, die den Patienten keinen Schaden zufügen.
«Wir müssen unser Gesichtsfeld erweitern», sagt Giger.
Eine Vorreiterrolle in der Schweiz spielte dabei Jakob Bösch, Leiter der
Externen Psychiatrischen Dienste im Kanton Baselland. Bereits vor drei
Jahren startete er am Bruderholzspital einen ersten Versuch. Heute arbeitet
er mit der Geistheilerin Graziella Schmidt zusammen und schwärmt von den
«Wundern», welche die Frau vollbracht haben soll. Ein siebenjähriger Knabe
litt unter Ängsten und Depressionen - bis er von Graziella Schmidt behandelt
wurde. «Der Knabe ist wieder gesund», sagt Bösch. Doch für das Duo Bösch/Schmidt gab es jetzt ein böses Erwachen. Letzte
Woche verfügte der neue Baselländer Sanitätsdirektor Erich Straumann
einen Versuchsstopp. Die offizielle Begründung lautete: Das Projekt bewege
sich in einem «wissenschaftlichen Graubereich».
Tatsächlich herrscht bei den Behandlungsmethoden der neuen Heilpraktiken
eine grenzenlose Vielfalt. Während die Rote Zora, früher Leiterin eines
Fitnessstudios bei München, auf die natürliche Kraft ihrer Hände vertraut
und den Patienten selbst gemischten Kräutertee verschreibt, sieht sich
Graziella Schmidt als verlängerten Arm Gottes. «Im Gebet gebe ich den
Patienten Kraft.»
Nicht nur die Grenzen zwischen Schul- und Alternativmedizin sind fliessend.
«Mit den neuen Heilmethoden vermischen sich Scharlatanerie und
Aberglauben», warnt Sektenforscher Hugo Stamm. Das
Missbrauchspotenzial sei enorm. «Kein Problem», kontert Chefarzt Rhyner,
«solange die Versuche unter ärztlicher Kontrolle stehen.»
Trotzdem ist auch im Kanton Glarus die Tätigkeit der Roten Zora umstritten.
«Die von Frau Jöstl angewandten Behandlungsmethoden müssten allgemein
angewandt werden können - und nicht nur von einer einzigen Person»,
wendet Ulrich Nägeli, Präsident der Glarner Ärztegesellschaft, ein.
Widerstand erwächst der Behandlungsmethode aber vor allem von Seiten
der Krankenkassen. Diese wollen die Therapie der Roten Zora nur
beschränkt übernehmen. Die Heilpraktikerin wird denn auch aus einem
speziellen Fonds bezahlt, so dass sie die Spitalrechnung nicht belastet, betont
Rhyner. Mit ein Grund dafür, dass der Glarner Sanitätsdirektor Röbi Marti
im Gegensatz zu seinem Amtskollegen im Kanton Baselland keinen
Handlungsbedarf sieht. «Wir müssen offen sein für Neues», sagt Marti.
«Solange die Heilversuche unter ärztlicher Kontrolle stehen, sehe ich kein Problem.»
Kaspar Rhyner.Der Chefarzt des Kantonsspitals Glarus fördert alternative Heilmethoden -
mit angeblich erstaunlichem Erfolg.
Alternative Therapien
Professor Kaspar Rhyner geht am Kantonsspital Glarus nicht nur mit der
energetischen Behandlungsmethode der Roten Zora neue Wege. Zur
Behandlung von Migräne verschreibt er die so genannte Psychofonie, eine
Hörtherapie. Die Patienten können ihre eigenen in Musik umgewandelten
Hirnströme mittels Kassette abhören.
Auch bei chronischen Erkrankungen und sogar Krebs greift Chefarzt Rhyner
auf die Musiktherapie zurück. Im Vordergrund steht die Entwicklung des
Körpergefühls. Ausserdem finden am Kantonsspital Glarus regelmässig
Kurse in so genannter Systemischer Therapie statt. Krank machende
Verstrickungen im Familiensystem werden transparent gemacht und
behandelt.
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